Der Aktionstag begann in Frankfurt eigentlich schon zwei Tage zuvor mit einem spektakulären Warm-up: Die seit ca. 1970 (!) leer stehenden OB-Villa im vornehmen, aber durch Fluglärm betroffenen Stadtteil Sachsenhausen wurde durch eine Gruppe von 20 Occupy-AktivistInnen besetzt. Der letzte Bewohner der Villa war der längst vergessene OB Brundert (SPD) – danach bezog keine/r seiner Nachfolger mehr das Haus, dessen Wert auf über 2 Mio € taxiert ist. Besetzt wurde nicht die Villa selbst, sondern der parkähnliche Garten um das Gebäude und zwar mit Zelten. Parole der BesetzerInnen: „Friede den Zelten – Krieg den Palästen“. Die Besetzung fand in den lokalen Medien ein großes und überwiegend positives Echo, da der prominente Leerstand, der zudem seit 4 Jahrzehnten gut geheizt wird, schon lange als Skandal empfunden wird. Die Occupy-AktivistInnen wurden aus der Nachbarschaft mit Essen und anderen Utensilien (z.B. einem Grill) großzügig unterstützt – insgesamt ein sehr gelungener Auftakt für die Demo am Samstag.
Sammelpunkt der Demo war der Platz vor dem Hauptbahnhof – 16 Uhr; dort kamen nicht nur FrankfurterInnen, sondern auch einige AktivistInnen aus dem Umland an, z.B. aus Maintal und Hanau, wo am Vormittag ein „Baustellen-Slalom“ durch die dortige Innenstadt stattgefunden hatte. Aus Oberursel stieß eine Gruppe hinzu, die in diesem Speckgürtel-Ort am Fuße des Taunus wegen der unzumutbaren Wohnsituation von Flüchtlingen demonstriert und zeitlich befristet ein Haus besetzt hatte, ebenfalls am Samstagvormittag. Eine Gruppe aus dem Frankfurter Stadtteil Gallus stieß dazu, die dort über Mittag eine (mietfreies) Wohnzimmer mit Sofa und Sesseln aufgebaut hatte – von der Polizei, die anscheinend eine weitere Hausbesetzung befürchtete, argwöhnisch beobachtet.
Bereits in den frühen Morgenstunden verlieh die „Akademie für bewegende Bilder, Kunst und Orte mit Strahlkraft“ den Golden Natodraht. Der Preis ging an verschiede hochambitionierte Institutionen und Projekte, wie z.B. die Franconofurt AG, die ABG Frankfurt Holding, das Stadtplanungsdezernat oder das Palmengarten Gesellschaftshaus. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde hier viel Anstrengung aufgewendet, um den Standort Frankfurt im globalen Wettbewerb zu positionieren und Investoren lästige Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Die Demo begann mit einer kurzen Auftaktkundgebung, wobei die Idee des bundesweiten Aktionstages und lokalspezifische Besonderheiten erläutert wurden – die katastrophale Mietsituation für Nicht-Reiche in der Global City bei gleichzeitigem Ausbau der Stadt durch hochpreisigen Eigentums- und Mietwohnungsneubau. Ein Beitrag der IL Frankfurt ergänzte mit einigen Vorschlägen, wie sich die bestehenden Ansätze des Widerstands gegen diese Art Stadtentwicklung verbreitern und vertiefen liessen.
An der Demo nahmen gut 600 Menschen teil; getragen wurde sie v.a. von Leuten aus dem Netzwerk „Wem gehört die Stadt?“ (v.a. Stadtteilinitiative Zukunft Bockenheim, AG Gallus), der radikalen Linken in Ffm (Antifa [f], IL, turn*left), Occupy, dem „Blauen Block“ (Initiative für Haus-Besetzungen), dem AStA, antirassistische Initiativen, einigen Menschen aus der Linkspartei (darunter 4 Landtagsabgeordnete), der SDAJ u.a.m. Die Beteiligung am fast 3stündigen Zug aus dem Zentrum durch die Stadtviertel Gallus und Bockenheim bis zur Bockenheimer Warte war mit ca. 600 Leuten zwar nicht gerade überwältigend – insbesondere Menschen aus den Mieterverbänden und aus migrantischen Zusammenhängen war fast garnicht vertreten – aber keineswegs ein „Flop“.
Bei strahlendem Altweibersommerwetter bunt und laut zog der Demozug vom Hbf. in Richtung Gallusviertel und Europa-Allee. Vorbei an dem neuen Tempel für gehobenen Konsum („skyline plaza“) ging es zum SIKS, einem selbstverwalteten Kulturzentrum im Gallus. In der Nähe des S-Bahnhof Galluswarte wurde in einem kurzen Redebeitrag an Günter Saré erinnert, der auf den Tag genau vor 28 Jahren (1985) dort bei einer Aktion gegen den NPD-Parteitag von einem Polizeiwasserwerfer überfahren und getötet wurde. In der Folge war es damals in Frankfurt zu tagelangen „riots“ gekommen – die verantwortlichen Polizisten bekamen später von der Justiz den „Persilschein“ ausgestellt.
Auf der Emserbrücke, die vom Gallusviertel über die Europa-Allee nach Bockenheim führt, wurde in einem Redebeitrag der AG Gallus (Netzwerk „Wem gehört die Stadt?“) auf die von der Stadtentwicklung der „Global City“ ausgehenden Umstrukturierungsprozesse, Vertreibung der Bevölkerung etc. hingewiesen. Die Beispiele waren an dieser Stelle besonders deutlich sichtbar: im Hintergrund die Messe und die Skyline der Global City, die Europa-Allee selbst mit hochpreisiger Wohnbebauung, Hotels etc. – rechter Hand dann das alte Arbeiterviertel Gallus, das gerade zum hippen Szeneort aufgepeppt wird – die dort noch ansässige, v.a. migrantische Bevölkerung kann bleiben, wo der Pfeffer wächst.
Am Ortseingang von Bockenheim wurde dem hochpreisigen Studentenwohnheim mit dem anspruchsvollen Namen „Headquarter“ ein Besuch abgestattet . Die „Akademie für bewegende Bilder, Kunst und Orte mit Strahlkraft“ verlieh den Betreibern und der Stadt den Goldenen Natodraht für die Förderung studentischen Wohnens – hier finden Upperclass-Studis für schlappe 500.- € bei einer Wohnfläche ab 23 qm eine „Studentenbude“. Parole: Reiche Eltern für alle! Am gleichen Ort erläuterte eine Vertreterin der Stadtteil-Initiative „Zukunft Bockenheim“ die unverschämten Mieterhöhungen der (städt.) Wohnungsbaugesellschaft ABG mit Hilfe von Mietspiegel und Frankfurt-typischen Lagenzuschlägen. Ihre Antwort an die Verantwortlichen der Stadt: Wir lassen uns nicht vertreiben! Wir sind Bockenheim!
Durch die Leipziger Str. bewegte sich der Demo-Zug – wg. der mittlerweile kühlen Temperaturen etwas kleiner geworden – ins Zentrum von Bockenheim. Dort berichtete eine Vertreterin eines Unterstützungsprojekts für Roma über die permanente rassistische Ausgrenzung der Roma durch Behörden und Vermieter und forderte menschenwürdige Wohnungen für die von Abschiebung bedrohten Menschen. Es folgte ein knapper Beitrag über die (zu Beginn erwähnte) Aktion für Wohnraum für Flüchtlinge in Oberursel.
Mit einem abschließenden Aufruf für Beteiligung an den geplanten Aktionen des Netzwerks M31 zur Unterstützung von Generalstreiks in den südeuropäischen Staaten endete der recht erfolgreiche Aktionstag in Frankfurt. Es ist sicher im Hinblick auf den Kampf gegen Mieterhöhungen und die Umstrukturierung der „Global City“ noch mehr möglich (und notwendig) – insbesondere durch intensivere Vernetzung mit Mieterverbänden und den migrantischen Communities -, aber ein Anfang ist gemacht. Wir haben gerade erst angefangen! Prendiamoci la cittá!
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