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Gegen das Treffen von Verfassungsschutz und Kapital! // Di. 26. März 2019 // 18:00 Uhr // Torstraße 164 (U Rosenthaler Platz)

Kundgebung: Di. 26. März 2019 // 18:00 Uhr // Torstraße 164 (U Rosenthaler Platz)

Unter dem Motto »Extremismus: Eine steigende Gefahr für Sicherheit und Reputation von Unternehmen« richtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e.V. (ASW) am 27. März eine Tagung im Berliner Regierungsviertel aus. Geladen sind u.a. Mitarbeiter milliardenschwerer Unternehmen wie RWE, BASF und Telekom. (infos: antifa-nordost.org/8375/) Das diese Veranstaltung eine einzige Dreistigkeit ist, zeigt sich wohl am deutlichsten daran, dass als Redner der Sicherheitschef von RWE geladen ist. Im Hambacher Forst, den RWE für den Gewinn von Braunkohle abholzen lassen will, lässt der Energiekonzern von angeheuerten Security-Trupps immer wieder Klimaschützer*innen brutal zusammenschlagen. Unterstützt wird das ganze durch tausende Polizist*innen, die RWE zur Hand gehen, den Wald von Gegenprotest zu säubern. Was sich da trifft scheint also eine Expertenrunde in Sachen Profitinteressenschutz zu sein. Eine solche Zusammenkunft darf nicht unwidersprochen bleiben. Wenn Verfassungsschutz und Co. am Vorabend der Tagung ihren Gästen am Rosenthaler Platz in der »Sodom und Gomorra«-Bar etwas Berliner Nachtleben präsentieren wollen, laden wir uns selbst ein. Wir werden da sein und klarstellen was wir von ihnen und ihrer extremismustheoretischen Scheiße halten.

Worüber sie nicht reden

Konzerne wie BASF, fördern in den USA Politiker*innen mit riesigen Summen, die den Klimawandel leugnen und Gesetze dagegen blockieren. Klimaschutzziele in Europa lehnt der Konzern dann dreist mit der Begründung ab, dass die USA ja gerade in diesem Bereich untätig seien. Doch nicht nur BASF setzt sich für eine nachhaltige Ausbeutung von Umwelt und Ressourcen ein, sondern auch das Unternehmen RWE. Auf der Konferenz wird mit keinem Wort erwähnt werden, dass der aggressive Braunkohleabbau, Kohlekraftwerke, so wie die Rodung gigantischer Waldflächen den Menschen vor Ort und der Umwelt massiven Schaden zufügen. Eben so wenig werden die Arbeitsrechtsverletzungen und die Gewerkschaftsfeindlichkeit bei der Telekom Thema sein, die immer wieder von Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen kritisieren werden. Die eigens auferlegte »Sozialcharta« des Konzerns wird stets missachtet und ist so wohl nicht Mal das Papier wert, auf dass es gedruckt wurde.

Worüber sie auch nicht reden werden: Dass Deutschland drittgrößter Waffenexporteur ist und damit eine Mitschuld am Morden in zahlreichen Kriegsgebieten weltweit trägt. 
Dass deutsche Unternehmen wie Siemens und IG Farben von der Ausbeutung von Zwangsarbeiter*innen während der Nazizeit profitierten und die Entschädigungszahlungen über Jahrzehnte verweigerten. 
Dass es im Hambacher Forst kein Problem darstellte über 2000 Polizist*innen zur Räumung einzusetzen, während die Polizei wenige Wochen zuvor in Chemnitz nicht willens war Migrant*innen in der Stadt zu schützen, als Nazimobs Hetzjagden in der Stadt veranstalteten.

Widerstand gegen Krieg, Umweltzerstörung, Nazis..

Jeglicher Protest gegen diese Unzumutbarkeiten wird durch die wissenschaftlich hoch umstrittene »Extremismustheorie« diffamiert und als illegitim gebrandmarkt. Wer sich dem Wohl großer Unternehmen in den Weg stellt, wird somit unter Generalverdacht gestellt. Dass Widerstand gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung jedoch sehr wohl legitim ist und von einem breiten Teil der Gesellschaft mitgetragen wird, beweisen eindrucksvoll die Proteste um den Hambacher Forst. Diese finden bereits seit Ende der 70er Jahren zwischen Aachen, Köln und Düsseldorf (NRW) statt und wurden von verschiedensten Teilen der Bevölkerung organisiert und durch unterschiedlichste Aktionsformen begleitet. Umweltaktivist*innen, die lokale Bevölkerung, Autonome, Zivilgesellschaft, Umweltverbände und NGO’s wollen das ungeheuerliche Treiben des Konzerns RWE nicht mehr tatenlos mit ansehen und organisierten Demonstrationen, Kundgebungen, Besetzungen, Konferenzen und Petitionen, um eine weitere Vernichtung der Umwelt auf Kosten von grenzenlosem Wirtschaftswachstum und einseitigen Konzerninteressen zu verhindern. Sind all diese Leute »Extremisten«? Oder sind es nicht eher die Menschen, die aus dem Unrecht ihre Profite schlagen? Deutsche Rüstungsfirmen wie Rheinmetall und ThyssenKrupp stehen in Sachen Mord und Totschlag international für deutsche Wertarbeit. Kampagnen wie »Rheinmetall entwaffnen« zerren durch kreative Aktionen und Demos diese Akteure des Krieges an die Öffentlichkeit, die aktuell an der Kriegsführung der Erdogan-Regierung massiv Gewinne abschöpfen. Unternehmen, die während der Nazizeit Zwangsarbeiter*innen beschäftigten versuchten auf Zeit zu spielen, verzögerten bis in die 00er Jahre Entschädigungszahlungen und hofften, dass ihre einstigen Opfer bald nicht mehr leben würden, um sich so vor Anspruchszahlungen zu drücken. Hätte es keine dauerhafte Kampagne gegen diese Konzerne gegeben, hätten sei keinen müden Heller an die Menschen gezahlt, die sie während der Nazizeit ausgebeutet haben.

…nicht extremistisch, sondern extrem notwendig

Nirgendwo anders als im Rahmen dieses Kongresses wird deutlicher, was der Verfassungsschutz ist: Ein Instrument der Herrschenden, dass auf der einen Seite rechte MörderInnenbanden unterstützt und bei rechter Gewalt ein aktives Wegschauen praktiziert, gegen linke Organisierungen hingegen rigoros vorgeht und dabei gleichzeitig stets unter dem Deckmantel der »Extremismustheorie« betont, dass jegliche extremistische Formen konsequent zu verurteilen sind. 
Am 26. und 27. März wird nun also milliardenschweren Unternehmen eine kostenlose Unternehmensberatung spendiert. 
Im Zuge der neoliberalen, kapitalistischen Ordnung Deutschlands ist dies eigentlich nur folgerichtig. So verbreiten Parteien von links bis rechts das Dogma, dass es der Gesellschaft zugute komme, wenn es den großen Unternehmen gut geht. 
Wir hingegen denken, dass Menschenleben und Umwelt, den Profitinteressen immer vorzuziehen sind. Wenn uns etwas am Image von Konzernen liegt, dann höchstens, dass dies möglichst nachhaltig geschädigt wird. Gerade dann, wenn sie sich aktiv an Ausbeutung und Menschenrechtsverletzung schuldig machen. Der Staat und seine Organe sind nicht die Sachverwalter des guten Lebens und der Gerechtigkeit. Am Ende des Tages bröckelt die demokratische Maske und es zählt die Durchsetzung von Besitzinteressen. Ein Leben in Würde bekommen wir nicht geschenkt, es muss erkämpft werden. Hierfür sind Basisbewegungen nötig. Desto größer sie sind, desto konsequenter sie gegen Kapitalinteressen eintreten und sich nicht einlullen lassen, um so besser. Wenn Immobilienunternehmen das Muffensausen bekommen, weil die Kampagne »Deutsche Wohnen enteignen« per Volksentscheid die Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften fordert und Berlins FDP-Chef Czaja diesen Schritt für den »größte(n) Tabubruch« hält, dann wurde alles richtig gemacht. Wenn Konzerne uns Politik schon von dem Akt eines Volksentscheides weiche Knie bekommen oder sie ein paar besetzte Braunkohleförderanlagen nervös werden lassen, dann zeigt dies, wie viel Macht in den Händen der Menschen liegt. Die große Zahl an Menschen, die im Rahmen von Fridays for Future für Kimagerechtigkeit auf die Sraße gehen oder sich an Demos gegen Rassismus und steigende Mieten beteiligen, sind der Beweis dass der linke »extremistische Rand«, den der Verfassungsschutz haluziniert, ziemlich groß zu sein scheint. Sie sind eine hoffnungsvolle Aussicht darauf, dass mehr als nur die radikale Linke bereit ist, sich dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegenzustellen.

Am 26. März auf die Straße!

Ein Unternehmen wie RWE macht einen Umsatz von 44,6 Milliarden Euro Jährlich und der Telekom-Konzern kommt aktuell auf einen Marktwert von 81 Milliarden US- Dollar. Worüber reden wir hier eigentlich? Wo ist die Verhältnismäßigkeit zu sehen und wer schadet hier wem? Eine Institution wie der Verfassungsschutz, der Nazinetzwerke wie den NSU hochgerüstet hat, sollte erst mal vor der eigenen Haustür kehren. Mit solchen Leuten gibt es nichts zu bereden! Zu der Fragestellung der Tagung, wie denn damit umzugehen sei, wenn »Unternehmen  Ziele linksextremistischer Agitationen« werden, wollen wir dennoch unseren Beitrag leisten. Wir werden alle “Extremist*innen” zusammentrommeln, denen es wie uns ein Herzensanliegen ist, dass Image jener Leute mit Dreck zu bewerfen, die mit Krieg, Rassismus, Gentrifizierung und Umweltzerstörung ihr Geschäft machen. Wir stehen für eine Organisierung von unten, die Autoritäten ablehnt und sich an den sozialen Interessen der Bevölkerung orientiert. Ein Leben ohne Kapitalismus, dafür treten wir ein. Und so wollen wir mit der Losung enden, die die Fassade des Ex-besetzten Hauses in der Kastanienallee 85 ziert, denn selbstentlarvenderweise wurde dieses Motiv als Titelblatt der Verfassungsschutztagung gewählt:

“Kapitalismus normiert, zerstört, tötet!”

So sieht es aus. Wir sehen uns am 26. März am Rosenthaler Platz!

Kundgebung:
Di. 26. März 2019 // 18:00 Uhr // Torstraße 164 (U Rosenthaler Platz)

Hintergrundinfos

Einen Hintergrundtext zu Strukturen und Redner*innen der Tagung: antifa-nordost.org/8375/

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Wie weiter nach #holmbleibt? – Beitrag der Interventionistischen Linken

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Wir veröffentlichen hier einen Text der Stadt-AG der Interventionistischen Linken, der gleichzeitig in diesem Blog und auf http://interventionistische-linke.org/ einen Beitrag zu Debatte #holmbleibt und zum Stand der Mieter*innenbewegung bildet.

Aufgaben für eine stadtpolitische Bewegung

Außerparlamentarische Linke dürfen von einer Regierung nie zu viel erwarten. Regieren bleibt Institution,  auch wenn sie sich „Regieren in Bewegung“ (Die Linke) als Motto gibt und in der Berliner Stadtregierung jemanden wie Andrej Holm als Staatsekretär ernennt. Doch größere Veränderungen werden fast immer durch Bewegungen erkämpft, ohne soziale Bewegungen dominieren die Zwänge der Institutionen, Verwaltungsvorschriften, Apparate und Lobbygruppen, die allesamt nicht auf sozialen Wandel, sondern auf Herrschaftsstabilisierung ausgerichtet sind.

Stärken und Schwächen der stadtpolitischen Bewegung

Das sieht man auch im Berliner Koalitionsvertrag von rot-rot-grün, der sowohl die Stärken als auch die Schwächen der stadtpolitischen Kämpfe der letzten Jahre offenbart. Progressive Momente lassen sich allesamt auf eine der vielen Initiativen zurückführen.
Es ist ein Erfolg, dass Inhalte wie die Unterstützung von selbstverwalteten, kommunalen Modellprojekten, der Neubau kommunaler Wohnungen oder die Ablösung der Unterbringung in echte Wohnungen für Geflüchtete im Koalitionsvertrag auftauchen. Der stadtpolitische Diskurs hat sich verschoben, weg von der Marktorientierung hin zur sozialen Aufgabe – auch wenn eine echte Selbstverpflichtung in fast allen Absichtserklärungen des Koalitionsvertrages fehlt.

Sieht man die außerparlamentarische Bewegung aber als Motor dieser Veränderungen, dann wird die Schwäche der stadtpolitischen Bewegung genauso deutlich. Denn ein Ziel und eine Strategie, die über diese Einzelforderungen und Maßnahmen hinausgeht, existiert weder im Berliner Koalitionsvertrag noch als Vision der stadtpolitischen Bewegungen. Der Mietenvolksentscheid Berlin konnte 2015  zwar erstmals strukturellen mietenpolitischen Forderungen Schwung, Schlagkraft und Focus geben – seine Abwicklung durch ein Abfanggesetz hat jedoch ein Vakuum hinterlassen. Danach ist es den stadtpolitischen Initiativen und Organisationen nicht mehr gelungen, Forderungen auf gleicher Ebene mit Druck in die Öffentlichkeit zu tragen.

Solche über Einzelkämpfe hinausgehenden Forderungen zu formulieren, zu diskutieren und mit vielen anderen dafür zu streiten, sehen wir in der IL Berlin, auch als unsere Aufgabe. Gerade jetzt unter einer rot-rot-grünen Regierung, die sich bewegungsnah gibt, auf Druck von unten zumindest reagiert – aber keine eigenen Visionen formuliert. Eine solche Vision muss aus der Bewegung kommen, bei ihrer Formulierung können wir auf viel Vorarbeit zurück greifen, von Arbeitsgruppen im Mietenvolksentscheid, bei ‚Berlin für Alle‘ und auch von ehemaligen und heutigen Mitgliedern der ‚Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau‘.
Wir finden ein außerparlamentarisches Aufbegehren bei dieser Regierungskonstellation besonders wichtig. Zum einen müssen gerade Grüne und Die Linke jetzt liefern, was sie in Wahlkampf und Koalitionsvertrag versprochen haben. Das eröffnet Räume für Veränderung. Zum anderen kann rot-rot-grün zu einer Gefahr werden, wenn als Opposition nur noch Rechtsparteien von FDP bis AfD aus dem Parlament wahrnehmbar sind.  Denn selbst bei kompletter Umsetzung des Koalitionsvertrags wird sich die Wohnungskrise verschärfen. Denn der Private Wohnungsmarkt bleibt unreguliert, 55.000 neu versprochene Kommunalen Wohnungen können die Krise nicht lösen, sondern nur abfedern. Dieses absehbare Scheitern darf jedoch nicht von Rechts vereinnahmt werden, sondern muss von Links für weiter treibende Forderungen genutzt werden

Die Ernennung von Andrej Holm zum Staatssekretär

Während wir noch über solche Forderungen nachdachten, platzte die Nachricht über die Ernennung Andrej Holms als Staatssekretär für Wohnen ins Plenum. Dies löste bei vielen von uns erstmal Sprachlosigkeit und Skepsis aus. Wir hätten ihn gern weiterhin als Teil der Außerparlamentarischen Opposition dabei gehabt. Doch er hatte sich nun anders entschieden und war in die Regierung gewechselt. Wir waren uns sicher, dass Holm versuchen würde, alles für eine soziale Stadtpolitik zu tun, waren uns aber der Grenzen bewusst. So schrieben wir in einem noch nicht veröffentlichten Beitrag für die Zeitschrift ‚LuXemburg‘:  „auch ohne die Auseinandersetzung um seine Vergangenheit [hätte Holm es] schwer genug gehabt, minimale Reformen gegen die verkrusteten Strukturen des Berliner Filz durchzusetzen. Der Machtblock aus Immobilienkapital und jahrzehntelang SPD-geführtem Wohn- und Bauressort, sitzt nach wie vor fest im Sattel“.
Hinzu kommt, dass er auf Kompromisse angewiesen wäre und es gibt nicht nur „vorgeschützte Sachzwänge in der Politik, sondern ganz reale. Wie begrenzte Finanzen oder eine unwillige Verwaltung“ (so Nicolas Šustr im Neuen Deutschland).

#holmbleibt

Doch trotz aller Skepsis war es für uns wichtig, während der Angriffe auf Andrej Holm auf seiner Seite zu intervenieren. Die Angriffe auf ihn waren ebenso Angriffe auf den erklärten Politikwechsel – die Hoffnung auf eine bevölkerungsnahe Miet- und Wohnraumpolitik sollte gar nicht erst entstehen. Offiziell ging es jedoch nicht um die Wohnungspolitik: Andrej Holm war in Ausbildung bei der Stasi gewesen und damit Teil Des DDR-Repressionsapparats. Wir als IL begrüßen eine echte Auseinandersetzung mit der DDR und ihrer autoritären Entwicklung. Der gesellschaftlichen Linken stünde es gut zu Gesicht, diese Auseinandersetzung ernsthaft zu suchen, die verkrampfte Mischung aus Ostalgie und Beschweigen wie sie in der Tageszeitung Junge Welt und bei anderen, immer noch der Orthodoxie verpflichteten Gruppen vorgeführt wird, ist ein Hindernis für linke Aufbrüche. Doch in der Auseinandersetzung um Holm war der Umgang mit Vergangenheit nur vorgeschoben. Dies zeigt schon der Fall Schabowski, der der dritthöchste Vorgesetzte von Andrej Holm war und später zum Wahlkampfgehilfen der CDU wurde. Dafür benötigte es nur eine opportunistische und kaum glaubwürdige 180° Wende: Wie er vorher die Gegner der DDR verteufelt hatte, verteufele er nun die DDR selbst und setze sie mit allen möglichen linken Alternativen gleich (Vgl. dazu das Statement der Robert-Havemann-Gesellschaft als .pdf).

Jede  Opposition versucht natürlich, Verfehlungen von Angehörigen der Regierung für sich zu nutzen. Doch im Falle Andrej Holm ging es nicht nur um einen Angriff auf die „Glaubwürdigkeit“ der Regierung, sondern darum einer Person und einer Politik zu schaden, die der „Hausbesetzerszene näher [steht] als einem Investor“ – so Sebastian Czaja, Fraktionsvorsitzender der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus. FDP, CDU, AfD stehen jedoch den Investoren nicht nur näher als Hausbesetzer*innen, sondern auch näher als den Mieter*innen.

Dies zeigen ihre Programme und ihre Politik überall dort, wo sie regieren oder regiert haben. Dass Sebastian Czaja zusätzlich Mitbegründer der ‚Liberalen Immobilienrunde‘ ist und der wohnungspolitische Sprecher der CDU Fraktion Matthias Brauner für den Bereich Wohnungswirtschaft bei der WL Bank zuständig ist, veranschaulicht dies.
Doch auch die SPD ist da nicht besser und nimmt gerne Spenden in Höhe von Zehntausenden Euro vom Baulöwen Groth und erlässt auch gerne Mal die Pflicht zum Wohnungsbau bei ihnen nahe stehenden Investoren. Diese Handlungen vom damaligen Senator für Stadtentwicklung und Umwelt Andreas Geisel (SPD) haben es kaum zum Skandal gebracht, das spricht Bände. So ist es dann auch nicht überraschend, dass der erste SPD Abgeordnete der Holms Rücktritt forderte, Sven Kohlmeier, als Anwalt Beratung für Immobilieninvestments anbietet.

Geschichtspolitik als Instrument

Einer echten Aufarbeitung von Geschichte, Diskussionen zu Erinnerungspolitik und Verantwortung wurde mit dieser interessengeleiteten Kampagne gegen Holm ein Bärendienst erwiesen. An der ein oder anderen Stelle haben wir auch gedacht: „Oh Andrej, dass kann man jetzt aber auch in den falschen Hals bekommen“.

Doch letztendlich war der vermeintliche Stein des Anstoßes nur der, dass jemand der in der Ausbildung bei der Stasi war und dies 2007 öffentlich gemacht hat, seine Ausbildung erst als Vorbereitung für eine hauptamtliche Tätigkeit gesehen hat. Er hat also die Einschätzung nicht nach den formalen Kriterien der Staatssicherheit selbst getroffen, sondern auf Grund seiner realen Tätigkeit (Ähnliches gilt für den Vorwurf, den Wehrdienst nicht beim Wachregiment ‚Feliks Dzierzynski‘ abgeleistet zu haben. Auch hier geht es nicht um den Ort und Tätigkeit selbst, sondern um die formale Dienststelle). Zur anfänglichen Unterschätzung der Debatte hat sicher auch, beigetragen, dass viele DDR-Oppositionelle Andrej Holm sagten, dass seine Tätigkeit im Vergleich mit anderen wirklich unwichtig sei.

Doch wie kritisch man Holms Antworten auf seine Kritiker*innen auch sehen mag – deutlich wurde auch: wo es nur ging, wurde sein Wort verdreht und jeder Fehler bis aufs letzte ausgeschlachtet. Rüber kommen sollte: Andrej Holm würde sich nicht daran erinnern, bei der Stasi angestellt zu sein, er sei unglaubwürdig, nehme Opfer der DDR nicht ernst und so weiter. Die Maßstäbe, die angelegt wurden, sind unerfüllbar für jeden, der sich ernsthaft mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzen will. Eine ehrliche, öffentliche Auseinandersetzung um Geschichte und eigene Verantwortung jenseits von Floskeln und auswendig gelernten Pressestatements wird es in naher Zukunft  nicht mehr geben.

Mit dem erzwungenen Rücktritt Andrej Holms als Staatssekretär und seiner Entlassung von der Humboldt Universität hat sich letztendlich die investorennahe Fraktion in Regierung und Abgeordnetenhaus durchgesetzt. Für sie ist Geschichtspolitik nur ein Mittel des Machtkampfes. Dieser Sieg ist zwar keine Niederlage der stadtpolitischen Bewegung, sondern für die ‚Die Linke‘, aber dennoch ein Problem für uns. Denn er schwächt im Regierungs- und Verwaltungsapparat genau diejenigen, die für Bewegungsforderungen empfänglich sind. Machen wir uns nichts vor: ohne solche Empfänglichkeit sind unsere Kämpfe massiv erschwert.Darum waren die Proteste gegen Andrej Holms Entlassung von Studierenden und stadtpolitischen Initiativen notwendig, um dem Immobilienkapital zu zeigen, dass wir ihren Angriff auf unsere Interessen nicht so einfach hinnehmen werden.

Vergesellschaftung von Wohnraum oder wie weiter mit rot-rot-grün?

Darum haben wir uns beim großen Treffen von Studierenden und stadtpolitischen Aktiven im besetzen ‚Institut für Sozialwissenschaften‘ für eine gemeinsame Demonstration stark gemacht. Gemeinsam protestierten wir gegen Holms Entlassung und für unsere Forderungen als stadtpolitische Bewegung. Denn die Fraktion innerhalb der Regierung, die gegen den Verwaltungsapparat eine Wende in der Wohnungspolitik durchsetzen will, ist nun auf einen Sieg angewiesen und kann es sich nicht leisten, Kritik von Mieter*innen zu ignorieren.

Die Geschwindigkeit, mit der auf die dem Koalitionsvertrag widersprechenden 21.000 Mieterhöhungen der landeseigenen Wohnungsunternehmen zur Jahreswende 2016/2017 reagiert wurde, verdeutlicht das. Die Mieterhöhungswelle war mit nur einer Presserklärung sofort prominent in den Medien, der Senat in Erklärungsnot. Gleichzeitig zeigt diese Affäre, dass die Vorstände der Landeseigenen Wohnungsgesellschaften die Wohnungspolitik von Rot-Rot-Grün aktiv sabotieren. Es kann in solchen Konflikten nicht unser Interesse sein, schadenfroh am Rande zu stehen und das ganze als Beweis für die Unmöglichkeit von Reformen im Kapitalismus zu nehmen. Wir müssen Partei ergreifen für die Mieter*innen und haben ein Interesse daran, dass der Senat seine Wohnungsunternehmen bändigt und zu sozialer Mietenpolitik zwingt.Während in den Landeseigenen Unternehmen der Kampf um eine neue Politik noch tobt, fehlen auf dem Privaten Wohnungsmarkt die Instrumente, um einzugreifen. Die Zwangsräumungen gehen weiter, in der  Kreuzberger Otto-Suhr-Siedlung sollen wie an vielen anderen Orten auch, über energetische Modernisierungen die Mieter*innen vertrieben werden. Die dahinter stehende Deutsche Wohnen AG lässt ihr Mieter*innen überall in Berlin frieren, in der Lausitzer Straße kämpfen kleine Selbstständige um ihre Gewerberäume und in ganz Berlin steigen die Angebotsmieten wie nie zuvor.

Als stadtpolitisch aktive Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen müssen wir darum kämpfen, dem endlich einen Riegel vorzuschieben. Wo Rot-Rot-Grün bisher den privaten Wohnungsmarkt nicht antastet, wollen wir den privaten Markt, an dem möglichst hohe Gewinne das einzige Ziel sind, bekämpfen und durch öffentliche, gemeinnützige und selbstverwaltete Wohnungswirtschaft ersetzen. Doch für solch eine „Re-Kommunalisierung plus“ braucht es durchdachte Strukturen. Es reicht nicht, einfach nur „dagegen“ zu sein, sondern positive sozialistische Konzepte sind gefragt, um die Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes denkbar und kampagnenfähig zu machen.
Eine Möglichkeit wäre die Einführung einer echten Wohnungsgemeinnützigkeit auf Bundesebene. Gleichzeitig müssen die Gewinnmöglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt beseitigt werden – Spekulation auf Wohnraum muss unrentabel werden. Mit einer Erhöhung der Grunderwerbssteuer, Steuern auf Luxuswohnungen und Immobiliengewinne. Nur mit dieser „Verwertungsbremse“ kommen wir der Vergesellschaftung von Wohnraum bereits vor der Enteignung einen Schritt näher.

Für uns als stadtpolitisch Bewegte bedeutet die jetzige Situationen folgendes:

  • Wir müssen unsere konkreten Kämpfe an den Orten der Verdrängung weiter führen. Nur so schaffen wir nachhaltige und ermächtigende Organisierung.
  • Wir müssen auf einer allgemeineren Ebene Forderungen und Visionen entwickeln, die nicht einfach eine Summe unserer konkreten Anliegen und Abwehrkämpfe sind, sondern diese Kämpfe perspektivisch irgendwann überflüssig werden lassen. Dies geht nur mit einem konkreten Programm für eine nicht-kapitalistische Wohnraumversorgung.
  • Um in der Offensive zu bleiben, müssen wir bis dahin alle sinnvollen Reformschritte gegen das Immobilienkapital verteidigen – ohne  uns von Senat und Parteien einspannen zu lassen. Eine „Friedenspflicht“ kann es für uns nicht geben. Stattdessen müssen wir den Rot-Rot-Grünen Senat wo es nur geht, öffentlich unter Druck setzen, ihn an seine Versprechen erinnern und mit weitertreibenden Forderungen konfrontieren. Nur so erreichen wir, dass das gemütliche Funktionieren im Apparat immer wieder aufgebrochen wird. Und nur so entstehen Räume für eine ganz andere Stadtpolitik.

Der Teilerfolg in der Causa Holm zeigt, dass solcher Druck Erfolge bringt: Noch während dieser Text entstand, wurde Holms Kündigung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt Universität zurückgenommen. Für die stadtpolitische Bewegung ist das ein Sieg, ebenso wie für die Studierenden der HU. Die Besetzung des Sozialwissenschaftlichen Instituts, getragen von Studierenden und stadtpolitischen Initiativen, hat gezeigt dass Holms Entlassung den Forderungen nach einer anderen Wohnungspolitik nicht die Spitze gebrochen hat. In der Synthese aus Studi & Stadtprotest wurde sichtbar – die Wohnungswende ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, welches von verschiedenen Gesellschaftlichen Gruppen solidarisch getragen wird. Wir müssen diesen Schwung nutzen, unsere Forderungen systematisieren und klar machen, wie eine Stadt ohne Immobilienkapital aussehen kann.

Lasst uns zusammen dafür kämpfen!

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