PM: Die Geschichte der Räumung des „Refugee Camps“ am Oranienplatz muss neu erzählt werden

Pressemitteilung von Andrej Hunko (MdB, LINKE):

Das am Dienstag geräumte Berliner ‚Refugee Camp‘ wurde keinesfalls so freiwillig geräumt, wie es Politiker/innen von Bezirk und Senat behaupten. Davon konnte ich mich gestern im Gespräch mit Napuli Paul Langa und weiteren hungerstreikenden Aktivist/innen überzeugen, die den Oranienplatz als letzte der Geflüchteten besetzt halten.

Die Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmanns und die Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration des Landes Berlin Dilek Kolat hatten bekräftigt, 80% der Geflüchteten hätten der freiwilligen Räumung des ‚Refugee Camp‘ zugestimmt. Das entspricht nicht den Tatsachen: Am Morgen der Räumung war ersichtlich, dass sich Pro Contra zum freiwilligen Abbau des Camps unter den Geflüchteten die Waage hielten. Bezogen auf die Gesamtsituation ist das Verhältnis noch übler: Bei meinem gestrigen Besuch der Schule in der Ohlauer Straße erfuhr ich, dass niemand von den Bewohner/innen mit der Auflösung des ‚Refugee Camp‘ einverstanden ist. Gegenüber Frau Kolat wurde dies zuvor ausdrücklich unterstrichen: Denn es ist hinlänglich bekannt, dass der Oranienplatz als das politische Symbol von den in der Ohlauer Straße lebenden Geflüchteten gilt. Diese Position hatte übrigens auch Monika Herrmanns eine Zeitlang vertreten.

Ich kritisiere auch, dass die Geflüchteten überredet wurden, sich gegenseitig zu räumen. In diesem Klima wurden die Gegner/innen unter ihnen erst am Morgen mit der Aufforderung überrascht, ihre Hütten sofort abzubrechen zu müssen. Einige von ihnen hatten versucht, sich dem entgegenzustellen.

Viele der Bewohner/innen des Oranienplatzes haben traumatisierende Erfahrungen gemacht. Sie in dieser Situation (auch mit dem Versprechen eines ‚Begrüßungsgeldes‘) zu Zwangsmaßnahmen gegenüber anderen Geflüchteten anzustiften, ist aus meiner Sicht ungeheuerlich.

Die Spaltung wird verstärkt, indem lediglich einem Teil der Betroffenen eine weitere Prüfung ihres Status versprochen wird. Nach meiner Kenntnis handelt es sich dabei hauptsächlich um sogenannte ‚Lampedusa-Flüchtlinge‘, die von Italien mit vorübergehenden Aufenthaltsgenehmigungen ausgestattet wurden. Mit diesen Papieren will die italienische Regierung ein reguläres Asylverfahren umgehen, die Betroffenen dürfen im Gegenzug eine Zeitlang in Europa verweilen.

Es ist deutlich, dass der Räumung des Oranienplatzes ein globales, politisches Problem zugrundeliegt. Entsprechende Fragen zu Asyl- und Bleiberechtsregelungen müssen auf Ebene der Bundesregierung und der Europäischen Union behandelt werden. Diese Position wird auch von Geflüchteten immer wieder betont.

In der Berliner Presse wird über Aussagen unter anderem von Frau Herrmanns und Frau Kolat berichtet, linke Unterstützer/innen hätten die Auflösung des Camps behindert, während Geflüchtete diese befürworteten. Auch dies trifft nicht zu und wird übrigens von Geflüchteten in einer Erklärung selbst bestritten. In Gesprächen erfuhr ich dazu, dass tatsächlich viele in Kreuzberg Lebende von der Räumung erfuhren, angesichts des Streits unter den Geflüchteten vor Ort aber passiv blieben. Jedoch wurden diejenigen, die ihre Hütten vor dem Abbruch verteidigen wollten, durch Sitzblockaden unterstützt.

Napuli Paul Langa ist die einzige Besetzerin des südlichen Oranienplatz, die sich einer Räumung verweigern konnte. Sie flüchtete sich auf einen Baum, der mittlerweile eingezäunt ist und von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht wird. Die Umgebung des Zaunes wird von der Berliner Polizei mit mehreren Dutzend Polizeikräften gesichert. Bis gestern hatten Polizei und Sicherheitsdienst alle Versuche verhindert, Kontakt mit Frau Langa aufzunehmen oder sie mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Stattdessen wurden Matten unter dem Baum ausgelegt, offensichtlich weil man ein Herunterfallen der physisch Entkräfteten einkalkulierte. Ich halte dies für menschenverachtend.

Die Präsenz der Geflüchteten in Kreuzberg ist einzigartig: Nirgends habe ich einen derartigen Willen zur Selbstorganisation beobachtet. Sie schufen sich Orte gelebter Solidarität, die hoch symbolisch sind und deshalb erhalten werden müssen. Dies gilt für das Camp am Oranienplatz ebenso wie für die besetzte Schule in der Ohlauer Straße. Beides sind Mahnmale gegen Kolonialismus und Rassismus.

Ich würde mir wünschen, wenn der weitere politische Umgang mit dem Phänomen darauf setzen würde Brücken zu bauen, anstatt den Protest zu brechen und zu spalten. Hierzu ist es unumgänglich, sich mit den (meines Erachtens richtigen) Positionen von Frau Langa und anderen protestierenden Geflüchteten auf dem Oranienplatz zu konfrontieren. Aus diesem Grund habe ich diese im Anhang dokumentiert.


Aus einer Presseerklärung von Napuli Paul Langa und Geflüchteten im Hungerstreik auf dem Oranienplatz:

  • Residenzpflicht abschaffen
  • Wohnungen statt Lager
  • Abschiebungen stoppen
  • Recht auf Arbeit, gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
  • Recht auf medizinische Versorgung und auf juristischen Beistand
  • Wiederaufbau des Veranstaltungszeltes und des selbstgestalteten Info-, Protest- und Vernetzungspunktes
  • die Schule in der Ohlauerstraße soll nicht geräumt werden, sondern ein politisches Zentrum für Geflüchtete werden.
  • sofortige Wiederaufnahme der Verhandlungen (Gespräche und Lösungen für alle)
  • §23 AufenthG als Lösung für alle im Senat durchsetzen. Der Zuspruch geht dann weiter an die Bundesinnenministerkonferenz
  • einen Termin mit der Staatssekretärin für Integration, damit sie unsere Forderungen durchsetzt und aber auch den §23 bei der Bundesinnenministerkonferenz durchsetzt!
  • dass alle, die aus der Liste ausgeschlossen wurden, darauf gesetzt werden
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