Wohin treibt die unabhängige Mieter*innen-Bewegung? Die Diskussion ist eröffnet … und geht hiermit weiter

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Der Auftakt einer Diskussion über den gegenwärtigen Zustand der unabhängigen Mieter*innenbewegung ist gemacht – mit einer Beschreibung, die viele verschiedene Gesichtspunkte anspricht und die tiefer gehender analysiert werden müssen, damit diese Bewegung zu dem werden kann, was sie eigentlich aufgrund der vielen verschiedenen Verdrängungsprozesse sein müsste – eine klare außerparlamentarische, selbstorganisierte Opposition zu diesem System. Ein System, für das Verdrängungen Programm ist.

Es gibt viel zu den einzelnen Gesichtspunkten zu sagen, die mehr eine Schwäche als eine Stärke der Bewegung beschreiben. Dennoch voran gestellt: Die unabhängige Mieter*innenbewegung ist in der stadtpolitischen Diskussion präsent – nicht als Bewegung, aber als ein großes Netz von verschiedenen kleinen Initiativen, Protesten, Widerständen. Allerdings ein Netz, was nicht sehr vernetzt ist und eher nebeneinander, als miteinander agiert.

Diese Präsenz zeichnet sich aus durch viele aktive Hausgemeinschaften, deren Mieter*innen zumindest in der Anfangsphase sich gegen ihre Verdrängung zusammen tun und auch mal ihre Fühler zu den Stadtteilinitiativen ausstrecken. Durch die zahlreichen Kämpfe der bedrohten Haus- und Ladenprojekte, die durchaus viele eher jüngere Menschen mobilisieren können und zeitweise sehr präsent auf der Straße und in der Öffentlichkeit sind. Durch zielgerichtete Kampagnen gegen Zwangsräumungen, Leerstand oder Ferienwohnungen, die mit direkten, teilweise militanten Aktionen klar ihre oppositionelle Haltung zu den Verursachern dieser Zustände zeigen. Durch die unzähligen kleineren und größeren Demos, durch Kiezversammlungen, Kiezspaziergänge und Plakataktionen, durch Mietkampagnen und größeren Vernetzungstreffen. Und nicht zuletzt durch Allgegenwärtigkeit in den Medien. Das Thema steigende Mieten, „wir brauchen bezahlbare Wohnungen“ und Verdrängung ist in aller Munde.

Nur: So wie das Thema eben für enorm viele Menschen zu einer existenziellen Fragen geworden ist, so fragen wir uns, warum wurde nicht aus der breiten verbalen Empörung eine breite, qualitative und eindeutig oppositionelle Bewegung? Warum können sich Investoren und andere Verdränger immer noch unbehelligt in der Stadt bewegen, warum können Politiker*innen weiter ihre stets gleichen Phrasen dreschen und warum gehen viele von Verdrängung Betroffene, aber auch organisierte Initiativen in die Kommunikation mit den „Macher*innen dieses Systems“ und sind damit offen für deren Strategie der Spaltung und Vereinzelung? Warum zahlen wir überhaupt noch Miete und gehen nicht zusammen einen flächigen Mietstreik an? Warum nehmen wir unsere Geschicke nicht selbst in die Hand?

Der Diskussionsauftakt gibt als eine Antwort, dass viele unserer Kämpfe an den Bedürfnissen und dem Bewusstsein der Mieter*innen vorbei gegangen sind. Aber wir stadtpolitisch aktive Menschen sind doch ebenfalls größtenteils Mieter*innen und haben das Bedürfnis, in und unter anderen Wohnverhältnissen leben zu wollen.

In all den Jahren, die wir uns in den stadtpolitischen Zusammenhängen und Themen bewegen, erfahren wir von vielen Menschen sehr wohl, dass sie eigentlich viel mehr Lust haben auf gemeinschaftlichere Strukturen, auf weniger Arbeit, auf neue sozio-kulturelle Inhalte, auf Selbstbestimmung. Auch erfahren wir von einem Bewusstsein, dass ebenfalls von ungerechten und systematischen Verhältnissen ausgeht und das diese verantwortlich für die jeweilige persönliche, aber auch für die gesellschaftliche Situation sind. Wir gehen davon aus, dass nicht ein fehlendes Bewusstsein und eine unzureichende Ansprache an die jeweiligen Bedürfnisse eine Ursache sein kann, dass sich keine starke unabhängige Mieter*innenbewegung organisiert.
Für uns ist eine Ursache wie in allen gesellschaftlichen Bereichen zu spüren, die Ohnmacht der einzelnen Menschen, die Ohnmacht der entstehenden Initiativen, die denken, dass es ausreicht, Protest anzumelden, die gesellschaftliche Ohnmacht.
Viele Menschen, aber auch viele Initiativen sind vereinzelt, zersplittert, stellen wenig Bezüge her, geben wenig Antworten darauf, wie wir weiter verfahren, wenn der Protest scheitert. Der seit Jahrzehnten uns bekannte Satz: „Wir können ja eh nichts ändern“ ist nach wie vor alltägliches Denken.

Wir sind individualisiert, von Kindesbeinen an und erst recht im hohen Alter. Wir sind vereinzelt in der Schule, in der Uni, in der Arbeitswelt, in den privaten Bereichen, in unserer politischen Arbeit, aber auch in unseren Träumen, Wünschen und Bedürfnissen. Vergesellschaftet ist der Druck nach Karriere und Geld-Verdienen, nach Konsum und egozentrischer Pseudo-Individualität. Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, die Miete nicht mehr zu zahlen, das leere Haus zu vergellschaften, unser Leben in sozialen Zusammenhängen selbst zu organisieren und zu gestalten.

Aber auch kollektive Zusammenhänge, sofern sie nicht schon längst abgeräumt oder ihre „Freiräume“ von der kapitalistischen Wirklichkeit eingeholt wurden, sind vereinzelt, ja sogar von gesellschaftlichen Prozessen losgelöst. Sie sind für viele Menschen nicht die Alternative, bzw. erreichen oftmals keine Solidarisierungseffekte in der Nachbar*innenschaft, obwohl sie zeigen, wie Selbstorganisierung auch funktionieren kann.

Dennoch betrachten wir es als viel schwerwiegender für die schwach organisierte Mieter*innenbewegung, dass nicht die Menschen sich ohnmächtig fühlen, sondern dass sich die vielen Initiativen in der Stadt eben auch in dieser gesellschaftlichen Vereinzelung bewegen. Wir fokussieren uns oft zu sehr auf unsere jeweilige Situation und beziehen uns zu wenig auf andere Kämpfe, auf andere Themen. Wir grenzen uns eher gegen unterschiedliche Strategien ab, als zu schauen, wo es eine gemeinsame Basis für eine fundamentale Veränderung geben kann, in denen verschiedene Mittel und Wege neben- und miteinander stehen und gemeinsam eine qualitative Stärke erreichen können. Eine qualitative Stärke, die z. B. Hausversammlungen mit militanten Aktionen zusammen denken kann und in Beziehung zueinander umsetzt.

Auch wir – organisierte Initiativen – stellen für viele Menschen keine Alternative in den alltäglichen Auseinandersetzungen dar. Wir zeigen zu wenig oppositionelle Handlungsmöglichkeiten zum Bestehenden auf und füttern dadurch den allgemeinen Gedanken der Alternativlosigkeit zum Bestehenden.
Wir klüngeln immer wieder mit den politischen Parteien, in der Hoffnung, dass wir dadurch etwas vom Kuchen abbekommen. Und in der Tat: wie oft werden dadurch viele Akteur*innen gekauft, wechseln die Lager, verschwinden „in der Politik“ und bekämpfen diejenigen, die hinter der richtigen Seite der Barrikade bleiben.

Wir schauen zu wenig über den eigenen Tellerrand auf die Situationen und Themen anderer Menschen und sind nicht in der Lage gemeinsame Handlungsfelder und -spielräume zu schaffen, in denen eben unterschiedliche Fragen zu revolutionären Antworten führen könnten.

Das Thema Miete wird kaum zusammen mit antirassistischen Kämpfen oder gegen prekäre Arbeits- und Einkommensverhältnisse angegangen. So bleibt die Mieter*innenbewegung eine Ein-Punkt-Bewegung und wird schwer eine gesellschaftliche Dynamik erzeugen, die diese Verhältnisse zum Tanzen bringt und wirklich eine Veränderung erreichen wird.

Und was tun wir jetzt ???

Wir sollten weiter die verschiedenen sozialen Realitäten der Menschen ernst nehmen und im Austausch bleiben. Veränderungen gehen nur in einem breiten sozialen Kontext, mit einer großen gesellschaftlichen Basis, in selbstorganisierten, horizontal agierenden und solidarischen Strukturen.

Die Alternative bleibt die Veränderung des Ganzen, des Systems. Es gibt nicht das vorherrschende Thema, sondern viele gleichwertige Baustellen, die alle aber ähnliche Ursachen haben und dadurch miteinander zu tun haben. Wir müssen unsere gegenwärtigen Kämpfe analysieren, prüfen und bewerten. Wir haben unterschiedliche Erfahrungen, sind in unterschiedlichen sozialen Kontexten eingebettet und auch unterschiedliche Ressourcen. Wir haben unterschiedliche Vorstellungen der Herangehensweisen und Mittel, daher müssen wir unsere Ziele und gemeinsame Nenner kennen. Vor allem brauchen wir wieder eine eigene Praxis, die unseren Vorstellungen von Veränderung nahe kommt und in ihrem Tun eine Authentizität und Glaubwürdigkeit wiedergibt. Eine Authentizität, mit der die soziale Basis für tiefer gehende Auseinandersetzungen und ganz anderen Herangehensweisen wachsen wird, um diese Verhältnisse zu überwinden. Es braucht die direkten Aktionen, in denen die Handschrift der Solidarität und des gemeinsamen Handelns, des wachsenden Selbstbewusstseins und der Ahnung, wie wir unser Leben anders organisieren können, entfaltet wird. Im Bewusstsein, dass dieser Kampf nicht nur im Haus, in unserer Straße, in der Stadt, sondern weltweit in unterschiedlichen Kontexten geführt wird.

Ernie und Berta von Nebenan

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